Sonntag, 9. Juni 2013

Ein Monat in Dhaka

Ich bin nun bereits einen Monat in Bangladesch. Irgendwie gefällt es mir ganz gut hier und doch ist es manchmal einfach nur frustrierend und mühsam, täglich diese ganze Armut zu sehen. Das Team ist super. Christoph hat mich am Wochenende leider verlassen, aber die neue österreichische Kollegin ist auch ganz nett und wir verstehen uns schon gut.

Arbeit
Das Gesundheitssystem in Bangladesch ist sehr speziell. Einerseits gibt es hier staatliche Impfzentren und die Kinder sind hier so gut durch geimpft, wie es sich jeder Infektiologe wünschen würde. Interessant aber, dass nur Masern geimpft wird und nicht wie bei uns MMR (Masern, Mumps und Röteln). Wir sahen jetzt schon ein paar Mumps-Kinder mit den typischen Hamsterbacken. Auch Vitamin A wird den Kindern gratis vom Staat abgegeben. Die staatlichen, öffentlichen Krankenhäuser sind grundsätzlich gratis, jedoch scheint dann doch wieder jeder Arzt irgendwie ein Honorar zu verlangen, so dass sich viele Patienten dies dann wiederum doch nicht leisten können. Jene, die es sich dann aber leisten können, gehen lieber in ein privates Krankenhaus, wo dann die Ärzte wiederum eine ganze Palette an sinnlosen Abklärungen verordnen…es ist wirklich ein Graus, was diese „Privaten Ärzte“ teilweise verordnen. Die meisten Abklärungen (Labor, Röntgen, Ultraschall etc.) bringen erstmals nur dem Geldbeutel des Arztes etwas, da diese irgendwelche Verträge mit den Labors haben und somit daran mitverdienen. Die Leid tragenden sind meistens die Patienten und viele kommen dann zu uns, da wir die Kosten für die Abklärungen übernehmen, sofern WIR dies verordnen. Es ist manchmal nicht einfach, diesen Patienten zu erklären, dass diese Abklärungen völlig sinnlos sind und keinen weiteren Nutzen bringen. Auch sehen wir viele Patienten, die wegen ihrem Schnupfen bereits in der Apotheke waren und dort schon irgend ein Breitbandantibiotikum für 2 Tage erhalten haben…Apotheker hier dürfen praktisch alles abgeben und sie geben auch alles ab, was Geld gibt – sinnvoll oder nicht, es gibt Geld. Ausser Blutdruck messen können sie ja keine weitere Diagnostik machen.
Unsere Ernährungsstation füllt sich langsam wieder. Der neue Rekord liegt bei 6 unterernährten Kindern. Gerne hätten wir mehr Kinder hier, aber oftmals dürfen die Frauen mit ihren Kindern nicht kommen, da der Ehemann ihnen dies „verbietet“ oder sie arbeiten müssen und sie 1. den Job nicht verlieren wollen und 2. das Geld dringend benötigen. Gerade letzte Woche konnten wir aber in einem längeren Gespräch eine Lösung mit Gross- bzw. Schwiegermutter finden, so dass das Kind nun doch bei uns aufgefüttert werden kann. Aktuell haben wir z.B. ein 9 monatiges Kind hier, das 4.0kg wog bei Aufnahme. Vergangene Woche war es so drückend heiss und der Strom fiel täglich mehrfach aus, so dass die Hitze ohne Ventilatoren kaum auszuhalten war – dies spürten leider auch die Kinder und nahmen nur ungenügend zu in dieser Zeit.
Wir hatten nun auch einige Patienten ins Tuberkulose-Spital zur Abklärung geschickt und ich bin gespannt, was sich dabei ergibt. Bisher kam noch keiner zurück, was entweder daran liegt, dass unsere Vermutung richtig war oder die Patienten nicht hin gingen…die Abklärungen im Tb-Hospital sind zwar gratis, aber diese Krankheit ist irgendwie so negativ behaftet, dass viele Patienten gar nicht hingehen wollen. Auch dies erfordert oft längere und mühsame Gespräche (da via Übersetzer), bis die Patienten verstehen, was der Sinn der Sache ist. Unser Patienten-Klientel stammt ja aus einer Gesellschaftsschicht, von der ich ehrlich gesagt nie weiss, wie viele von ihnen überhaupt lesen und schreiben können, geschweige denn wissen, wann sie welches Medikament einnehmen müssen… aber den meisten Patienten geht es nach unseren Behandlungen sowieso besser – wahrscheinlich ist doch eine ganze Menge Plazebo-Wirkung mit dabei.
Eindrücklich ist auch, dass wir bei schlechtem Wetter kaum Patienten sehen. Diese kommen dann meist zum nächsten Termin. Wir hatten zu zweit schon knappe 60 Patienten an einem Vormittag (in 3.5h) behandelt. Wenn man bedenkt, dass viel Zeit durch die Übersetzung „verloren“ geht, waren wir da schon ganz schnell. Die Untersuchung an sich ist eben oft auch sehr schwierig, da entweder ein Zug vorbei fährt, die Kinder der Schule auf der anderen Seite der Mauer einen ungehörigen Lärm veranstalten oder der Regen auf das Blechdach prasselt, so dass eine einfache Untersuchung wie das Abhorchen der Lunge urplötzlich zu einer grossen Herausforderung wird. Die Privatsphäre wird auch klein gehalten – jeder hört die Probleme des Nachbarn, da wir praktisch immer alle im selben Raum sind.
Manchmal machen wir wirklich ein bisschen „Wild-West-Medizin“ hier und andererseits können wir mittels eines modernen Ultraschallgeräts doch sehr viel an diagnostischer Technik bieten…und die Patienten sind sehr dankbar, dass wir das Angebot so breit wie möglich halten und sie nicht ins Spital müssen.
Die Krankheitsbilder sind doch sehr verschieden zu dem, was wir bei uns täglich sehen. Hier klagen wirklich viele Patienten über Hautprobleme. Häufig Ekzeme und auch nicht selten: Verbrennungen! Oft trifft es kleine Kinder, die wohl beim Spielen gegen einen der kochenden Töpfe vor der Hütte stolpern… den sicherlich tragischsten Fall der letzten Tage ist eine ca. 25-jährige Frau, die von ihrem Mann mit Kerosin übergossen wurde und anschliessend mit einem Streichholz angezündet wurde! Tiefe Verbrennungen an Hals und Dekolleté bis zu den Brüsten. Ja, die Stellung der Frau in diesem doch sehr muslimischen Land lässt sehr zu wünschen übrig…

Bildung
Unserem Projekt sind insgesamt 3 Schulen angegliedert, wobei die Schule im Korail-Slum mittlerweile anderweitige Unterstützung erhielt. In Manda (1100) und Gandaria (600) erhalten aber doch immer noch viele Kinder eine Schulbildung dank diesem Projekt. Das Bildungssystem ist natürlich keineswegs mit dem unsrigen vergleichbar…die meisten Kinder gehen zwar bis zur 8. oder 10. Klasse in die Schule, danach wird’s aber immer teurer für die Eltern. Mit den 10. Klässlern in unserer Schule ist eine (sehr) einfache Unterhaltung auf Englisch gerade so knapp möglich. Aber was soll man mehr erwarten von täglich 2-4h Unterricht…ja genau, mehr liegt meist nicht drin, denn die Schulhäuser sind so überfüllt und die Klassen mit 30-35 Kindern auch am oberen Limit, so dass die Klassen quasi im Schichtbetrieb durchgeschleust werden müssen! Lehrer geniessen hier ein hohes Ansehen, sind aber mit ihren 60-70€ pro Monat verhältnismässig schlecht bezahlt.

Hier drum ein kleiner Spendenaufruf: falls jemand Interesse hat, ein Slum-Kind zu unterstützen, soll er sich doch bitte bei mir melden. Es ist möglich, eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen oder auch einfach „unspezifisch“ Geld für ein Kind zu spenden, das Babul dann aussucht. Kostenpunkt: € 5.50/Monat!! Darin inklusive: täglich eine warme Mahlzeit sowie die Kosten für Schulbücher und natürlich die Lehrer. Wer also auf 2 Tassen Kaffee pro Monat verzichten kann und will, bitte melden ;-)
 
Ausflüge
Bangladesch ist alles andere als ein touristisch erschlossenes Land. Bei der deutschen Botschaft soll auch ein Plakat hängen mit dem Spruch „Komm nach Bangladesch, bevor die Touristen kommen“. Dies trifft den Kern doch recht gut. Die Hauptattraktion im Lande sind eigentlich immer noch die Touristen…
Wir verbrachten ein Wochenende im Süden, in den Sunderbans. Das ist der grösste zusammenhängende Mangrovenwald auf Erden auf einer Fläche von rund einem Viertel der Schweiz. Auch leben hier noch rund 200-400 bengalische Tiger in freier Wildbahn. Diese von einem auf den Kanälen fahrenden Boot zu erspähen, ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Am eindrücklichsten war für mich die Macht des Mondes. Ebbe und Flut zeigten gewaltige Differenzen, so dass kilometerweit ganze Landstriche unter Wasser standen während der Flut. Herden von Rehen und Hirschen waren auf kleinen Landflächen für Stunden eingesperrt, bis die Ebbe nahte. Auch einer unser morgendlichen Bootsausfahrten – mit nur einem Paddel! – musste abgebrochen werden bzw. das rettende Motorboot zog uns zum Schluss gegen die Strömung zurück. Über das nächtliche Zugfahrtserlebnis habe ich ja bereits berichtet.
Eine weitere Zugfahrt erlebten wir aber beim Ausflug zu den Teeplantagen in Srimongal, im Nordosten des Landes. Eigentlich weiss niemand so genau, wann der Zug fährt. Eine Abfahrtszeit steht auf dem Ticket, der Zug kommt aber einfach, wenn er kommt…dies kann bis zu 3 Stunden später sein, wie ich kürzlich erfahren durfte/musste… Die Teeplantagen sind zu Zeiten der englischen Herrschaft entstanden. Im Nordosten gibt es darum Schwarztee-Plantagen soweit das Auge reicht! Und wo kein Tee angepflanzt wird/wurde, da wachsen Reis, Ananas, Datteln, Mango, Jackfruit oder Litschi. Letztere drei Früchte sind grad in Hochsaison und schmecken einfach nur köstlich! Wir kamen auch in den Genuss des 7-schichtigen Tees – angeblich etwas weltberühmtes und einzigartiges, aber eigentlich wird der Tee einfach nur süsser, je tiefer man in der Schicht kommt; Schwerkraft und das spezifische Gewicht des Zuckers lassen grüssen. Die Rückfahrt aus Srimongal war dann etwas unangenehmer, denn meine Verdauung spielte zum ersten Mal so richtig verrückt! Ich weiss jetzt, wie sich Bauchschmerzen während einer 5-stündigen Zugfahrt anfühlen und man weiss, dass ein Klo nur im allerschlimmsten Falle zur Verfügung steht. Das Zugsklo war wirklich äusserst unangenehm und ich verstehe schon fast alle Männer, die einfach so aus dem Zug pinkeln… nun ja, ich hab’s überlebt und bin wieder heil in Dhaka angekommen und lange dauern diese „Magenverstimmungen“ ja nicht an.
Dann waren wir noch in der „Goldenen Stadt“, einer alten Hauptstadt Ost-Pakistans (wie Bangladesch früher hiess). 3 Stunden Busfahrt (mit unserem Privat-Bus!) für 30km! Der Verkehr hier ist einfach HORROR! Das effektiv einzige Highlight in dieser Stadt war eine hinduistische Stupa sowie die Mauern von einer verlassenen Hindu-Stadt. Ein wenig südlich davon war noch ein Museum, das man in 10Minuten gesehen hat… der Ausflug lohnte sich aber trotzdem, denn mal wieder etwas GRÜN zu sehen, tat richtig gut!
Das National Museum in Dhaka ist etwa gleich schlecht, wie das soeben erwähnte Museum. Ja, es ist wohl das schlechteste Museum, das ich je besucht hatte. Mit 90 Rappen wohl auch das billigste… Alle „Dinge“ waren einfach der Reihe nach aufgestellt in Glasvitrinen. Praktisch zu keiner Vitrine gab’s eine Erklärung. Nur der Name des Kleidungsstückes, des Musikinstrumentes, der Münze oder was auch immer, aber alles in einem völlig losen Kontext. Im obersten Stock gab es noch eine „Schweizer Ecke“. Dinge, die die Schweizer Botschaft dem Museum gespendet hatte…nach der Besichtigung dieser Gegenstände wusste ich nicht mehr, ob die Schweiz oder Bangladesch ein Entwicklungsland ist…diese Gegenstände im Naturhistorischen Museum in Appenzell wären ja voll ok, aber mit so alten Gegenständen sollte man die Schweiz jetzt nicht unbedingt „anpreisen“ – das dürfte sich unsere Botschaft also wirklich etwas mehr ins Zeug legen!

Christoph hatte mich ja vor kurzem verlassen. Eine Woche vor seiner Abreise, hatten wir eine Abschiedsparty organisieren lassen. „Party“ heisst hier: ESSEN. Babul hat aber für ein umfassendes Rahmenprogramm gesorgt, so dass wir in den Genuss von traditionellem Tanz, Gesang und Musik kamen. Die Kinder der Schule traten voll in Aktion und gaben ihr Gelerntes zum Besten! Wirklich ein gelungener Anlass mit insgesamt 70 Leuten (alle Lehrer sowie die Mitarbeiter von unseren „Aussenstationen“ in den Slums). Auch hatte er uns ein kühles Bier organisiert, was in dieser doch stark muslimischen Kultur nicht immer ganz einfach ist. Und für uns völlig unerwartet, wurden wir reichlich beschenkt mit kleinen Erinnerungsstücken an Bangladesch und unsere Arbeit hier in Dhaka. Es war ein durch und durch gelungener und schöner Anlass – leider begann es zu regnen, so dass wir von der Dachterrasse in den „Essenssaal“ der Schule wechseln mussten.

Mittlerweile hab ich nur noch 10 Arbeitstage vor mir. Ich freue mich auf ein Jogging in der Natur. Die Bewegung fehlt mir wirklich. Zwei- bis dreimal die 5-6Stockwerke hoch ist grad alles, was ich hier schaffe…mehr ist hier aber aus zwei Gründen nicht möglich: Luftverschmutzung und Hitze! Zudem wäre wohl der Park am Ende der Manda-Road der einzige Ort, wo sowas machbar wäre, ohne dass ich mich verlaufen würde… die Hitze war wirklich unerträglich in letzter Zeit – ich sehne mich nach abkühlendem Regen. Selbst nachts fällt die Temperatur (gemäss Internet-Wetter-Recherchen) nicht unter 26/27°C!! und wenn dann der Strom ausfällt und der Ventilator nur noch mit halber Kraft läuft…irgendwie freue ich mich auf den Schweizer Sommer... bis bald!

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