Mittwoch, 19. Juni 2013

Dhaka – Abschied

Bereits sind meine letzten Stunden hier in Dhaka angebrochen. Die Zeit verging einmal mehr sehr schnell.
Täglich sahen wir wiederum leidende Patienten… sei es die 14-jährige Schülerin, die von ihrem Cousin geschwängert wurde, was natürlich niemand erfahren darf, sofern nicht bald irgendwie eine Hochzeit arrangiert werden kann. Oder der 38-jährige Rikscha-Fahrer, der gerade noch 31kg wog, nur noch Haut und Knochen war und wahrscheinlich an einem Tumor im Bauch leidet und sich einen Aufenthalt im Krankenhaus nicht leisten kann.
Die medizinische Versorgung vor Ort lässt wirklich zu wünschen übrig. Die Ärzte hier in den Krankenhäusern sind so korrupt, dass sie selbst den ärmsten Patienten ein Honorar aufbrummen, welches diese nicht bezahlen können und in der Folge natürlich nie mehr dahin gehen – egal wie krank sie sind. Die „Pharmacy-doctors“ verschreiben nur Medikamente, die ihnen einfach viel Geld einbringen und dem Patienten eher schaden als nützen… Auch werden praktisch immer sinnlose Untersuchungen angeordnet, die sich die Leute dann oft aber auch gar nicht leisten können – zum Glück manchmal...
Der kleine, knapp 2-jährige Armon auf unserer Feeding-Station nahm auch nicht richtig zu. 8kg in diesem Alter sind wirklich nicht genug. In den letzten Tagen hat er nun aber das Gehen erlernt. Eigentlich dachten wir, er hätte eine Tuberkulose, da sein Grossvater auch daran litt und er die ersten Monate mit ihm verbrachte. Im Tuberkulose-Krankenhaus wurde der Befund aber als negativ abgegeben. Ausser einer schweren Blutarmut scheint er also gesund zu sein. Wer so unterernährt ist, dem fehlen natürlich alle möglichen Bausteine, um genügend rote Blutkörperchen herzustellen. Natürlich fanden sich im Blut daher weitere abnorme Werte. Krankenhaus und Labor wollten da weitere sinnlose aber kostenintensive Abklärungen durchführen, was ich blockieren musste. Es geht ihm ja schon sooo viel besser! Dies ist irgendwie symptomatisch für dieses Land. Jeder macht mal irgendwo etwas und keiner koordiniert bzw. hat den Überblick.

Diese Woche gingen wir abends mit unserem Übersetzer die Manda-Strasse auf und ab. Am östlichen Ende wo die Kleiderfabrik steht, hielt ich an und wollte mal einen Blick erspähen. Wir wurden dann zum Direktor gebracht und konnten mit ihm sprechen. Er versprach uns eine Führung in den nächsten Tagen! Diese erhielten wir dann zwei Tage später und auch wenn er es nicht sonderlich gern hatte, durften wir Fotos machen :-) Die Verhältnisse bei „EthicalGarments Ltdsind wahrscheinlich noch relativ gut für bengalische Verhältnisse. Jedenfalls gibt es Tageslicht, es ist „sauber“ und die Arbeitszeiten seien von 8-17 Uhr. Wirklich interessant, wie viele Leute in so kurzer Zeit einen Fleece-Pullover herstellen. Irgendwie hatte ich aber trotzdem das Gefühl, dass selbst unsere Tierhaltung oftmals besseren Bedingungen unterliegt als die Arbeitsverhältnisse hier… Das Material stammt aus China, hier wird nur geschnitten und genäht. 1000 Arbeiter stellen an insgesamt 9 „Reihen“ 9000 Stücke (Pullis, Jacken) pro Tag auf 6 Etagen her. Ein grosser Abnehmer ist KiK in Deutschland. Viele verschiedene Marken, aber alles ein und dasselbe Produkt natürlich! Azam, der Big-Boss, jammerte natürlich, dass er nicht viel an einem Kleidungsstück verdiene, aber auch wenn er nur 1 Cent Reingewinn macht pro Stück, ist dies (=90€/d)  schon extrem viel für die hiesigen Verhältnisse!! Eine Näherin verdient gerade mal 1€ pro Tag…
Auch konnten wir hier direkt neben der Schule eine kleine „Garagen-Fabrik“ anschauen. Handy-Akkus werden hier fertig gestellt. Rohmaterial aus China wird importiert und dann werden in dieser kleinen Garage an der Manda-Road noch die Metall-Kontaktstreifen sowie die Plastikhülle angebracht. Tausende von Akkus stehen da rum. Und gleich nebenan ist eine Fabrik, die Zuggummibänder für Unterwäsche herstellt. Marke wohl frei wählbar – wir sahen gerade Reebok.
Diese Manda-Road bietet einfach alles! Wie ein kleiner Ameisenhaufen. Sie verändert sich täglich und verglichen mit vor 6 Wochen sieht sie irgendwie komplett anders aus. Überall wird gebaut, gegraben, Erde aufgeschüttet…und das schöne ist, dass irgendwie jeder versucht, etwas beizutragen.

Letzte Woche waren wir mit den zwei deutschen Freiwilligen im „German Club“. 5€ Eintritt! Dafür muss eine Näherin eine ganze Woche arbeiten… drinnen gibt’s einen Swimmingpool und einen Tennisplatz (aber wer will sich bei dieser Hitze schon sportlich betätigen?) – es war ziemlich absurd, direkt aus dem Korail-Slum in diesen German Club zu gehen. Aber abgesehen von den Mittwochabenden bei den Priestern von Notre Dame, war dies die einzige und erste weitere Möglichkeit für ein kühles Bier!

Unsere Feeding-Station werde ich wirklich vermissen. Es ist so schön zu sehen, wie diese kleinen, unterernährten Kinder in nur 2 Wochen an Gewicht zunehmen und zum Teil – wie Armon - plötzlich zu Gehen beginnen oder wieder lachen können. Natürlich sind auch die Mütter zufriedener (und mache legen ebenfalls schön an Gewicht zu, was nicht schadet…) und zeigen so viel Dankbarkeit. Auch herrscht irgendwie immer eine schöne Atmosphäre unter den Müttern mit ihren Kindern – sie lernen voneinander und können sich austauschen. Das scheint sonst nicht so der Fall zu sein.

Die Religion ist hier sicherlich ein starkes Hindernis für alles. Eine Frau hat bei Muslimen nicht viel zu sagen – ausser sie ist die Tochter oder Witwe eines ehemaligen Staatsoberhauptes, dann kann sie Prime Ministerin werden oder als Oppositionsleaderin fungieren…
Auch spannend ist, dass kleine Kinder immer einen grossen schwarzen Punkt an der linken Stirnseite tragen um böse Geister abzuhalten. Auch tragen alle – also auch Erwachsene – eine schwarze Schnur mit einem Anhänger um den Bauch. Ebenfalls um Dämonen abzuhalten. Ob Allah damit einverstanden ist oder nicht, weiss ich nicht. Jedenfalls gibt es hier ganz viele eigenartige Vorstellungen und Weltansichten, insbesondere auch über die Gesundheit, die in erster Linie aber auf Unwissenheit basieren – Allah hin oder her…
Auch sehen wir täglich gesundheitliche Probleme der „Tabu-Zone“. Dies ist immer ein riesen Problem, da die Leute nicht darüber sprechen können bzw. dürfen. Es ist oft sehr mühsam den Patienten klar zu machen, dass es für die Therapieentscheidung äusserst wichtig ist, wo wie und was genau weh tut oder brennt. Von Frau zu Frau sind viele Dinge einfacher, ebenso von Mann zu Mann, aber auch das geht nicht immer ganz so einfach wie zuhause. Zu viel Scham ist mit diesem Thema verbunden – auch hier würde etwas mehr Aufklärung und Bildung nichts schaden…

Am Wochenende waren wir in der „Altstadt“ sowie bei dieser alten Lhalbag „Festung“ irgendwo westlich des Zentrums. Also der Kultur wegen muss man wirklich nicht nach Dhaka… aber das Land ist halt auch noch jung. Alles was vor der Befreiung des Landes (von Ostpakistan) geschah, wird hier verschwiegen; es war ja damals noch nicht Bangladesch. Die Landesgeschichte beginnt am 25. April 1972.
Das Jahr 1972 ist generell ein guter Anhaltspunkt. Viele ältere Leute wissen nämlich überhaupt nicht, wann sie geboren sind, sprich sie haben keine Ahnung, wie alt sie in Wirklichkeit sind. Oftmals steht einfach irgendein Geburtsdatum auf ihrer ID. Dann ist die Befreiung des Landes ein guter Meilenstein herauszufinden, ob sie dann schon verheiratet waren, Kinder hatten oder noch zur Schule gingen etc…

Dhaka selber ist einfach der Wahnsinn. Der Verkehr hier ist einzigartig und entsetzlich. Vor allem auch, weil einfach tausende von Rikschas die Strassen blockieren können. Ich bin wirklich froh, dürfen LKWs tagsüber nicht fahren in der Stadt. Die jetzt schon so staubig-dreckige und trockene Luft wäre dann noch viel schwerer zu ertragen. Die Regenzeit hat am 15. Juni begonnen. Seit 5 Tagen haben wir keinen Tropfen Regen gesehen… :-( die Temperaturen steigen täglich und die Nächte werden immer unerträglicher. Oft erwache ich nachts Schweiss gebadet. Die Temperaturen sinken nachts nur auf 28.5°C…und bei uns im 6. Stock bringen wir die Hitze kaum mehr aus der Wohnung…gratis Sauna – nur die Jahreszeit ist unpassend… heute Abend regnete es aber wenigstens für eine knappe Stunde. Die Manda-Road ist nun wieder ein grosser Sumpf, die Rikschas kommen kaum vorwärts und die geteerten Strassen stehen teilweise wieder etwas unter Wasser. Ein bisschen kühlender Regen und die halbe Stadt steht still…und die Abkühlung währte nicht lange. Die hohe Luftfeuchte nun macht’s fast noch schlimmer als es schon war…

Soeben kamen wir zurück von den Priestern im „Notre Dame College“. Irgendwie süss, wie sie zu uns schauen. Einmal pro Woche ein Bier und ein Essen. Dazu Crickett, Football oder Fussball schauen und ein bisschen Plaudern bis Vater Benjamin einschläft und Vater Timm auch zu müde wird... – that’s it :-)

Vor zwei Wochen war ich beim Coiffeur hier in der Schule. Älterer Herr, der kein Wort Englisch spricht – mal wieder ein lustiges Erlebnis. Zuerst Bart schneiden, denn für die Leute hier ist ein 3-Tagesbart etwas völlig Ungewöhnliches und alle fragten mich, ob es mir nicht gut gehe… Bart musste also rasch weg. Auch ein einmaliges Erlebnis. Das ganze Gesicht wird mit Rasierschaum eingeschäumt – wozu ist nicht ganz klar… eigentlich ist die Bartrasur hier mehr ein Ritual als eine „Alltagsangelegenheit“. Phuu…ganze 20 Minuten hat die Prozedur gedauert – und ich musste erst noch nach rasieren… daher blieb es beim einmaligen Erlebnis ;-) Haare schneiden war ganz ok – und der Preis mehr als fair.

Montag und Dienstag wurden wir bei unserer Arbeit in den Slums von Khilgoan2, Gandaria und Korail von einem deutsch-bengalischen Filmteam begleitet, die aber primär die zwei deutschen Freiwilligen beim Übersetzen filmten. Das war auch sehr spannend und ich fand es schön, dass sie bei meinen zwei „Lieblings-Slums“ dabei waren J Khilgoan2 und Gandaria haben irgendwie Charme, wohl auch, weil sie die zwei ärmsten und authentischsten Slums sind. Und die Zugsdurchfahrten sind immer wieder ein Highlight. Der Dokumentar-Film wird irgendwann im nächsten Jahr am späteren Abend im ZDF ausgestrahlt – voraussichtlicher Titel: „Fernweh Bangladesch“.

Fernweh… ich hatte eine wirklich sehr schöne, äusserst spannende und lehrreiche Zeit hier mit vielen positiven, aber auch weniger schönen Eindrücken. Trotzdem freue ich mich wieder sehr auf trinkbares Hahnenwasser, etwas weniger Hitze, ein gutes Glas Wein, Brot und Käse, Berge, Schlaglöcher freie Strassen, weniger Lärm und bessere Luft…
Wahrscheinlich was dies nicht der letzte Einsatz mit den German-Doctors!

Khoda hafez – goodbye – Bangladesch.

Sonntag, 9. Juni 2013

Ein Monat in Dhaka

Ich bin nun bereits einen Monat in Bangladesch. Irgendwie gefällt es mir ganz gut hier und doch ist es manchmal einfach nur frustrierend und mühsam, täglich diese ganze Armut zu sehen. Das Team ist super. Christoph hat mich am Wochenende leider verlassen, aber die neue österreichische Kollegin ist auch ganz nett und wir verstehen uns schon gut.

Arbeit
Das Gesundheitssystem in Bangladesch ist sehr speziell. Einerseits gibt es hier staatliche Impfzentren und die Kinder sind hier so gut durch geimpft, wie es sich jeder Infektiologe wünschen würde. Interessant aber, dass nur Masern geimpft wird und nicht wie bei uns MMR (Masern, Mumps und Röteln). Wir sahen jetzt schon ein paar Mumps-Kinder mit den typischen Hamsterbacken. Auch Vitamin A wird den Kindern gratis vom Staat abgegeben. Die staatlichen, öffentlichen Krankenhäuser sind grundsätzlich gratis, jedoch scheint dann doch wieder jeder Arzt irgendwie ein Honorar zu verlangen, so dass sich viele Patienten dies dann wiederum doch nicht leisten können. Jene, die es sich dann aber leisten können, gehen lieber in ein privates Krankenhaus, wo dann die Ärzte wiederum eine ganze Palette an sinnlosen Abklärungen verordnen…es ist wirklich ein Graus, was diese „Privaten Ärzte“ teilweise verordnen. Die meisten Abklärungen (Labor, Röntgen, Ultraschall etc.) bringen erstmals nur dem Geldbeutel des Arztes etwas, da diese irgendwelche Verträge mit den Labors haben und somit daran mitverdienen. Die Leid tragenden sind meistens die Patienten und viele kommen dann zu uns, da wir die Kosten für die Abklärungen übernehmen, sofern WIR dies verordnen. Es ist manchmal nicht einfach, diesen Patienten zu erklären, dass diese Abklärungen völlig sinnlos sind und keinen weiteren Nutzen bringen. Auch sehen wir viele Patienten, die wegen ihrem Schnupfen bereits in der Apotheke waren und dort schon irgend ein Breitbandantibiotikum für 2 Tage erhalten haben…Apotheker hier dürfen praktisch alles abgeben und sie geben auch alles ab, was Geld gibt – sinnvoll oder nicht, es gibt Geld. Ausser Blutdruck messen können sie ja keine weitere Diagnostik machen.
Unsere Ernährungsstation füllt sich langsam wieder. Der neue Rekord liegt bei 6 unterernährten Kindern. Gerne hätten wir mehr Kinder hier, aber oftmals dürfen die Frauen mit ihren Kindern nicht kommen, da der Ehemann ihnen dies „verbietet“ oder sie arbeiten müssen und sie 1. den Job nicht verlieren wollen und 2. das Geld dringend benötigen. Gerade letzte Woche konnten wir aber in einem längeren Gespräch eine Lösung mit Gross- bzw. Schwiegermutter finden, so dass das Kind nun doch bei uns aufgefüttert werden kann. Aktuell haben wir z.B. ein 9 monatiges Kind hier, das 4.0kg wog bei Aufnahme. Vergangene Woche war es so drückend heiss und der Strom fiel täglich mehrfach aus, so dass die Hitze ohne Ventilatoren kaum auszuhalten war – dies spürten leider auch die Kinder und nahmen nur ungenügend zu in dieser Zeit.
Wir hatten nun auch einige Patienten ins Tuberkulose-Spital zur Abklärung geschickt und ich bin gespannt, was sich dabei ergibt. Bisher kam noch keiner zurück, was entweder daran liegt, dass unsere Vermutung richtig war oder die Patienten nicht hin gingen…die Abklärungen im Tb-Hospital sind zwar gratis, aber diese Krankheit ist irgendwie so negativ behaftet, dass viele Patienten gar nicht hingehen wollen. Auch dies erfordert oft längere und mühsame Gespräche (da via Übersetzer), bis die Patienten verstehen, was der Sinn der Sache ist. Unser Patienten-Klientel stammt ja aus einer Gesellschaftsschicht, von der ich ehrlich gesagt nie weiss, wie viele von ihnen überhaupt lesen und schreiben können, geschweige denn wissen, wann sie welches Medikament einnehmen müssen… aber den meisten Patienten geht es nach unseren Behandlungen sowieso besser – wahrscheinlich ist doch eine ganze Menge Plazebo-Wirkung mit dabei.
Eindrücklich ist auch, dass wir bei schlechtem Wetter kaum Patienten sehen. Diese kommen dann meist zum nächsten Termin. Wir hatten zu zweit schon knappe 60 Patienten an einem Vormittag (in 3.5h) behandelt. Wenn man bedenkt, dass viel Zeit durch die Übersetzung „verloren“ geht, waren wir da schon ganz schnell. Die Untersuchung an sich ist eben oft auch sehr schwierig, da entweder ein Zug vorbei fährt, die Kinder der Schule auf der anderen Seite der Mauer einen ungehörigen Lärm veranstalten oder der Regen auf das Blechdach prasselt, so dass eine einfache Untersuchung wie das Abhorchen der Lunge urplötzlich zu einer grossen Herausforderung wird. Die Privatsphäre wird auch klein gehalten – jeder hört die Probleme des Nachbarn, da wir praktisch immer alle im selben Raum sind.
Manchmal machen wir wirklich ein bisschen „Wild-West-Medizin“ hier und andererseits können wir mittels eines modernen Ultraschallgeräts doch sehr viel an diagnostischer Technik bieten…und die Patienten sind sehr dankbar, dass wir das Angebot so breit wie möglich halten und sie nicht ins Spital müssen.
Die Krankheitsbilder sind doch sehr verschieden zu dem, was wir bei uns täglich sehen. Hier klagen wirklich viele Patienten über Hautprobleme. Häufig Ekzeme und auch nicht selten: Verbrennungen! Oft trifft es kleine Kinder, die wohl beim Spielen gegen einen der kochenden Töpfe vor der Hütte stolpern… den sicherlich tragischsten Fall der letzten Tage ist eine ca. 25-jährige Frau, die von ihrem Mann mit Kerosin übergossen wurde und anschliessend mit einem Streichholz angezündet wurde! Tiefe Verbrennungen an Hals und Dekolleté bis zu den Brüsten. Ja, die Stellung der Frau in diesem doch sehr muslimischen Land lässt sehr zu wünschen übrig…

Bildung
Unserem Projekt sind insgesamt 3 Schulen angegliedert, wobei die Schule im Korail-Slum mittlerweile anderweitige Unterstützung erhielt. In Manda (1100) und Gandaria (600) erhalten aber doch immer noch viele Kinder eine Schulbildung dank diesem Projekt. Das Bildungssystem ist natürlich keineswegs mit dem unsrigen vergleichbar…die meisten Kinder gehen zwar bis zur 8. oder 10. Klasse in die Schule, danach wird’s aber immer teurer für die Eltern. Mit den 10. Klässlern in unserer Schule ist eine (sehr) einfache Unterhaltung auf Englisch gerade so knapp möglich. Aber was soll man mehr erwarten von täglich 2-4h Unterricht…ja genau, mehr liegt meist nicht drin, denn die Schulhäuser sind so überfüllt und die Klassen mit 30-35 Kindern auch am oberen Limit, so dass die Klassen quasi im Schichtbetrieb durchgeschleust werden müssen! Lehrer geniessen hier ein hohes Ansehen, sind aber mit ihren 60-70€ pro Monat verhältnismässig schlecht bezahlt.

Hier drum ein kleiner Spendenaufruf: falls jemand Interesse hat, ein Slum-Kind zu unterstützen, soll er sich doch bitte bei mir melden. Es ist möglich, eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen oder auch einfach „unspezifisch“ Geld für ein Kind zu spenden, das Babul dann aussucht. Kostenpunkt: € 5.50/Monat!! Darin inklusive: täglich eine warme Mahlzeit sowie die Kosten für Schulbücher und natürlich die Lehrer. Wer also auf 2 Tassen Kaffee pro Monat verzichten kann und will, bitte melden ;-)
 
Ausflüge
Bangladesch ist alles andere als ein touristisch erschlossenes Land. Bei der deutschen Botschaft soll auch ein Plakat hängen mit dem Spruch „Komm nach Bangladesch, bevor die Touristen kommen“. Dies trifft den Kern doch recht gut. Die Hauptattraktion im Lande sind eigentlich immer noch die Touristen…
Wir verbrachten ein Wochenende im Süden, in den Sunderbans. Das ist der grösste zusammenhängende Mangrovenwald auf Erden auf einer Fläche von rund einem Viertel der Schweiz. Auch leben hier noch rund 200-400 bengalische Tiger in freier Wildbahn. Diese von einem auf den Kanälen fahrenden Boot zu erspähen, ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Am eindrücklichsten war für mich die Macht des Mondes. Ebbe und Flut zeigten gewaltige Differenzen, so dass kilometerweit ganze Landstriche unter Wasser standen während der Flut. Herden von Rehen und Hirschen waren auf kleinen Landflächen für Stunden eingesperrt, bis die Ebbe nahte. Auch einer unser morgendlichen Bootsausfahrten – mit nur einem Paddel! – musste abgebrochen werden bzw. das rettende Motorboot zog uns zum Schluss gegen die Strömung zurück. Über das nächtliche Zugfahrtserlebnis habe ich ja bereits berichtet.
Eine weitere Zugfahrt erlebten wir aber beim Ausflug zu den Teeplantagen in Srimongal, im Nordosten des Landes. Eigentlich weiss niemand so genau, wann der Zug fährt. Eine Abfahrtszeit steht auf dem Ticket, der Zug kommt aber einfach, wenn er kommt…dies kann bis zu 3 Stunden später sein, wie ich kürzlich erfahren durfte/musste… Die Teeplantagen sind zu Zeiten der englischen Herrschaft entstanden. Im Nordosten gibt es darum Schwarztee-Plantagen soweit das Auge reicht! Und wo kein Tee angepflanzt wird/wurde, da wachsen Reis, Ananas, Datteln, Mango, Jackfruit oder Litschi. Letztere drei Früchte sind grad in Hochsaison und schmecken einfach nur köstlich! Wir kamen auch in den Genuss des 7-schichtigen Tees – angeblich etwas weltberühmtes und einzigartiges, aber eigentlich wird der Tee einfach nur süsser, je tiefer man in der Schicht kommt; Schwerkraft und das spezifische Gewicht des Zuckers lassen grüssen. Die Rückfahrt aus Srimongal war dann etwas unangenehmer, denn meine Verdauung spielte zum ersten Mal so richtig verrückt! Ich weiss jetzt, wie sich Bauchschmerzen während einer 5-stündigen Zugfahrt anfühlen und man weiss, dass ein Klo nur im allerschlimmsten Falle zur Verfügung steht. Das Zugsklo war wirklich äusserst unangenehm und ich verstehe schon fast alle Männer, die einfach so aus dem Zug pinkeln… nun ja, ich hab’s überlebt und bin wieder heil in Dhaka angekommen und lange dauern diese „Magenverstimmungen“ ja nicht an.
Dann waren wir noch in der „Goldenen Stadt“, einer alten Hauptstadt Ost-Pakistans (wie Bangladesch früher hiess). 3 Stunden Busfahrt (mit unserem Privat-Bus!) für 30km! Der Verkehr hier ist einfach HORROR! Das effektiv einzige Highlight in dieser Stadt war eine hinduistische Stupa sowie die Mauern von einer verlassenen Hindu-Stadt. Ein wenig südlich davon war noch ein Museum, das man in 10Minuten gesehen hat… der Ausflug lohnte sich aber trotzdem, denn mal wieder etwas GRÜN zu sehen, tat richtig gut!
Das National Museum in Dhaka ist etwa gleich schlecht, wie das soeben erwähnte Museum. Ja, es ist wohl das schlechteste Museum, das ich je besucht hatte. Mit 90 Rappen wohl auch das billigste… Alle „Dinge“ waren einfach der Reihe nach aufgestellt in Glasvitrinen. Praktisch zu keiner Vitrine gab’s eine Erklärung. Nur der Name des Kleidungsstückes, des Musikinstrumentes, der Münze oder was auch immer, aber alles in einem völlig losen Kontext. Im obersten Stock gab es noch eine „Schweizer Ecke“. Dinge, die die Schweizer Botschaft dem Museum gespendet hatte…nach der Besichtigung dieser Gegenstände wusste ich nicht mehr, ob die Schweiz oder Bangladesch ein Entwicklungsland ist…diese Gegenstände im Naturhistorischen Museum in Appenzell wären ja voll ok, aber mit so alten Gegenständen sollte man die Schweiz jetzt nicht unbedingt „anpreisen“ – das dürfte sich unsere Botschaft also wirklich etwas mehr ins Zeug legen!

Christoph hatte mich ja vor kurzem verlassen. Eine Woche vor seiner Abreise, hatten wir eine Abschiedsparty organisieren lassen. „Party“ heisst hier: ESSEN. Babul hat aber für ein umfassendes Rahmenprogramm gesorgt, so dass wir in den Genuss von traditionellem Tanz, Gesang und Musik kamen. Die Kinder der Schule traten voll in Aktion und gaben ihr Gelerntes zum Besten! Wirklich ein gelungener Anlass mit insgesamt 70 Leuten (alle Lehrer sowie die Mitarbeiter von unseren „Aussenstationen“ in den Slums). Auch hatte er uns ein kühles Bier organisiert, was in dieser doch stark muslimischen Kultur nicht immer ganz einfach ist. Und für uns völlig unerwartet, wurden wir reichlich beschenkt mit kleinen Erinnerungsstücken an Bangladesch und unsere Arbeit hier in Dhaka. Es war ein durch und durch gelungener und schöner Anlass – leider begann es zu regnen, so dass wir von der Dachterrasse in den „Essenssaal“ der Schule wechseln mussten.

Mittlerweile hab ich nur noch 10 Arbeitstage vor mir. Ich freue mich auf ein Jogging in der Natur. Die Bewegung fehlt mir wirklich. Zwei- bis dreimal die 5-6Stockwerke hoch ist grad alles, was ich hier schaffe…mehr ist hier aber aus zwei Gründen nicht möglich: Luftverschmutzung und Hitze! Zudem wäre wohl der Park am Ende der Manda-Road der einzige Ort, wo sowas machbar wäre, ohne dass ich mich verlaufen würde… die Hitze war wirklich unerträglich in letzter Zeit – ich sehne mich nach abkühlendem Regen. Selbst nachts fällt die Temperatur (gemäss Internet-Wetter-Recherchen) nicht unter 26/27°C!! und wenn dann der Strom ausfällt und der Ventilator nur noch mit halber Kraft läuft…irgendwie freue ich mich auf den Schweizer Sommer... bis bald!