Mittwoch, 19. Juni 2013

Dhaka – Abschied

Bereits sind meine letzten Stunden hier in Dhaka angebrochen. Die Zeit verging einmal mehr sehr schnell.
Täglich sahen wir wiederum leidende Patienten… sei es die 14-jährige Schülerin, die von ihrem Cousin geschwängert wurde, was natürlich niemand erfahren darf, sofern nicht bald irgendwie eine Hochzeit arrangiert werden kann. Oder der 38-jährige Rikscha-Fahrer, der gerade noch 31kg wog, nur noch Haut und Knochen war und wahrscheinlich an einem Tumor im Bauch leidet und sich einen Aufenthalt im Krankenhaus nicht leisten kann.
Die medizinische Versorgung vor Ort lässt wirklich zu wünschen übrig. Die Ärzte hier in den Krankenhäusern sind so korrupt, dass sie selbst den ärmsten Patienten ein Honorar aufbrummen, welches diese nicht bezahlen können und in der Folge natürlich nie mehr dahin gehen – egal wie krank sie sind. Die „Pharmacy-doctors“ verschreiben nur Medikamente, die ihnen einfach viel Geld einbringen und dem Patienten eher schaden als nützen… Auch werden praktisch immer sinnlose Untersuchungen angeordnet, die sich die Leute dann oft aber auch gar nicht leisten können – zum Glück manchmal...
Der kleine, knapp 2-jährige Armon auf unserer Feeding-Station nahm auch nicht richtig zu. 8kg in diesem Alter sind wirklich nicht genug. In den letzten Tagen hat er nun aber das Gehen erlernt. Eigentlich dachten wir, er hätte eine Tuberkulose, da sein Grossvater auch daran litt und er die ersten Monate mit ihm verbrachte. Im Tuberkulose-Krankenhaus wurde der Befund aber als negativ abgegeben. Ausser einer schweren Blutarmut scheint er also gesund zu sein. Wer so unterernährt ist, dem fehlen natürlich alle möglichen Bausteine, um genügend rote Blutkörperchen herzustellen. Natürlich fanden sich im Blut daher weitere abnorme Werte. Krankenhaus und Labor wollten da weitere sinnlose aber kostenintensive Abklärungen durchführen, was ich blockieren musste. Es geht ihm ja schon sooo viel besser! Dies ist irgendwie symptomatisch für dieses Land. Jeder macht mal irgendwo etwas und keiner koordiniert bzw. hat den Überblick.

Diese Woche gingen wir abends mit unserem Übersetzer die Manda-Strasse auf und ab. Am östlichen Ende wo die Kleiderfabrik steht, hielt ich an und wollte mal einen Blick erspähen. Wir wurden dann zum Direktor gebracht und konnten mit ihm sprechen. Er versprach uns eine Führung in den nächsten Tagen! Diese erhielten wir dann zwei Tage später und auch wenn er es nicht sonderlich gern hatte, durften wir Fotos machen :-) Die Verhältnisse bei „EthicalGarments Ltdsind wahrscheinlich noch relativ gut für bengalische Verhältnisse. Jedenfalls gibt es Tageslicht, es ist „sauber“ und die Arbeitszeiten seien von 8-17 Uhr. Wirklich interessant, wie viele Leute in so kurzer Zeit einen Fleece-Pullover herstellen. Irgendwie hatte ich aber trotzdem das Gefühl, dass selbst unsere Tierhaltung oftmals besseren Bedingungen unterliegt als die Arbeitsverhältnisse hier… Das Material stammt aus China, hier wird nur geschnitten und genäht. 1000 Arbeiter stellen an insgesamt 9 „Reihen“ 9000 Stücke (Pullis, Jacken) pro Tag auf 6 Etagen her. Ein grosser Abnehmer ist KiK in Deutschland. Viele verschiedene Marken, aber alles ein und dasselbe Produkt natürlich! Azam, der Big-Boss, jammerte natürlich, dass er nicht viel an einem Kleidungsstück verdiene, aber auch wenn er nur 1 Cent Reingewinn macht pro Stück, ist dies (=90€/d)  schon extrem viel für die hiesigen Verhältnisse!! Eine Näherin verdient gerade mal 1€ pro Tag…
Auch konnten wir hier direkt neben der Schule eine kleine „Garagen-Fabrik“ anschauen. Handy-Akkus werden hier fertig gestellt. Rohmaterial aus China wird importiert und dann werden in dieser kleinen Garage an der Manda-Road noch die Metall-Kontaktstreifen sowie die Plastikhülle angebracht. Tausende von Akkus stehen da rum. Und gleich nebenan ist eine Fabrik, die Zuggummibänder für Unterwäsche herstellt. Marke wohl frei wählbar – wir sahen gerade Reebok.
Diese Manda-Road bietet einfach alles! Wie ein kleiner Ameisenhaufen. Sie verändert sich täglich und verglichen mit vor 6 Wochen sieht sie irgendwie komplett anders aus. Überall wird gebaut, gegraben, Erde aufgeschüttet…und das schöne ist, dass irgendwie jeder versucht, etwas beizutragen.

Letzte Woche waren wir mit den zwei deutschen Freiwilligen im „German Club“. 5€ Eintritt! Dafür muss eine Näherin eine ganze Woche arbeiten… drinnen gibt’s einen Swimmingpool und einen Tennisplatz (aber wer will sich bei dieser Hitze schon sportlich betätigen?) – es war ziemlich absurd, direkt aus dem Korail-Slum in diesen German Club zu gehen. Aber abgesehen von den Mittwochabenden bei den Priestern von Notre Dame, war dies die einzige und erste weitere Möglichkeit für ein kühles Bier!

Unsere Feeding-Station werde ich wirklich vermissen. Es ist so schön zu sehen, wie diese kleinen, unterernährten Kinder in nur 2 Wochen an Gewicht zunehmen und zum Teil – wie Armon - plötzlich zu Gehen beginnen oder wieder lachen können. Natürlich sind auch die Mütter zufriedener (und mache legen ebenfalls schön an Gewicht zu, was nicht schadet…) und zeigen so viel Dankbarkeit. Auch herrscht irgendwie immer eine schöne Atmosphäre unter den Müttern mit ihren Kindern – sie lernen voneinander und können sich austauschen. Das scheint sonst nicht so der Fall zu sein.

Die Religion ist hier sicherlich ein starkes Hindernis für alles. Eine Frau hat bei Muslimen nicht viel zu sagen – ausser sie ist die Tochter oder Witwe eines ehemaligen Staatsoberhauptes, dann kann sie Prime Ministerin werden oder als Oppositionsleaderin fungieren…
Auch spannend ist, dass kleine Kinder immer einen grossen schwarzen Punkt an der linken Stirnseite tragen um böse Geister abzuhalten. Auch tragen alle – also auch Erwachsene – eine schwarze Schnur mit einem Anhänger um den Bauch. Ebenfalls um Dämonen abzuhalten. Ob Allah damit einverstanden ist oder nicht, weiss ich nicht. Jedenfalls gibt es hier ganz viele eigenartige Vorstellungen und Weltansichten, insbesondere auch über die Gesundheit, die in erster Linie aber auf Unwissenheit basieren – Allah hin oder her…
Auch sehen wir täglich gesundheitliche Probleme der „Tabu-Zone“. Dies ist immer ein riesen Problem, da die Leute nicht darüber sprechen können bzw. dürfen. Es ist oft sehr mühsam den Patienten klar zu machen, dass es für die Therapieentscheidung äusserst wichtig ist, wo wie und was genau weh tut oder brennt. Von Frau zu Frau sind viele Dinge einfacher, ebenso von Mann zu Mann, aber auch das geht nicht immer ganz so einfach wie zuhause. Zu viel Scham ist mit diesem Thema verbunden – auch hier würde etwas mehr Aufklärung und Bildung nichts schaden…

Am Wochenende waren wir in der „Altstadt“ sowie bei dieser alten Lhalbag „Festung“ irgendwo westlich des Zentrums. Also der Kultur wegen muss man wirklich nicht nach Dhaka… aber das Land ist halt auch noch jung. Alles was vor der Befreiung des Landes (von Ostpakistan) geschah, wird hier verschwiegen; es war ja damals noch nicht Bangladesch. Die Landesgeschichte beginnt am 25. April 1972.
Das Jahr 1972 ist generell ein guter Anhaltspunkt. Viele ältere Leute wissen nämlich überhaupt nicht, wann sie geboren sind, sprich sie haben keine Ahnung, wie alt sie in Wirklichkeit sind. Oftmals steht einfach irgendein Geburtsdatum auf ihrer ID. Dann ist die Befreiung des Landes ein guter Meilenstein herauszufinden, ob sie dann schon verheiratet waren, Kinder hatten oder noch zur Schule gingen etc…

Dhaka selber ist einfach der Wahnsinn. Der Verkehr hier ist einzigartig und entsetzlich. Vor allem auch, weil einfach tausende von Rikschas die Strassen blockieren können. Ich bin wirklich froh, dürfen LKWs tagsüber nicht fahren in der Stadt. Die jetzt schon so staubig-dreckige und trockene Luft wäre dann noch viel schwerer zu ertragen. Die Regenzeit hat am 15. Juni begonnen. Seit 5 Tagen haben wir keinen Tropfen Regen gesehen… :-( die Temperaturen steigen täglich und die Nächte werden immer unerträglicher. Oft erwache ich nachts Schweiss gebadet. Die Temperaturen sinken nachts nur auf 28.5°C…und bei uns im 6. Stock bringen wir die Hitze kaum mehr aus der Wohnung…gratis Sauna – nur die Jahreszeit ist unpassend… heute Abend regnete es aber wenigstens für eine knappe Stunde. Die Manda-Road ist nun wieder ein grosser Sumpf, die Rikschas kommen kaum vorwärts und die geteerten Strassen stehen teilweise wieder etwas unter Wasser. Ein bisschen kühlender Regen und die halbe Stadt steht still…und die Abkühlung währte nicht lange. Die hohe Luftfeuchte nun macht’s fast noch schlimmer als es schon war…

Soeben kamen wir zurück von den Priestern im „Notre Dame College“. Irgendwie süss, wie sie zu uns schauen. Einmal pro Woche ein Bier und ein Essen. Dazu Crickett, Football oder Fussball schauen und ein bisschen Plaudern bis Vater Benjamin einschläft und Vater Timm auch zu müde wird... – that’s it :-)

Vor zwei Wochen war ich beim Coiffeur hier in der Schule. Älterer Herr, der kein Wort Englisch spricht – mal wieder ein lustiges Erlebnis. Zuerst Bart schneiden, denn für die Leute hier ist ein 3-Tagesbart etwas völlig Ungewöhnliches und alle fragten mich, ob es mir nicht gut gehe… Bart musste also rasch weg. Auch ein einmaliges Erlebnis. Das ganze Gesicht wird mit Rasierschaum eingeschäumt – wozu ist nicht ganz klar… eigentlich ist die Bartrasur hier mehr ein Ritual als eine „Alltagsangelegenheit“. Phuu…ganze 20 Minuten hat die Prozedur gedauert – und ich musste erst noch nach rasieren… daher blieb es beim einmaligen Erlebnis ;-) Haare schneiden war ganz ok – und der Preis mehr als fair.

Montag und Dienstag wurden wir bei unserer Arbeit in den Slums von Khilgoan2, Gandaria und Korail von einem deutsch-bengalischen Filmteam begleitet, die aber primär die zwei deutschen Freiwilligen beim Übersetzen filmten. Das war auch sehr spannend und ich fand es schön, dass sie bei meinen zwei „Lieblings-Slums“ dabei waren J Khilgoan2 und Gandaria haben irgendwie Charme, wohl auch, weil sie die zwei ärmsten und authentischsten Slums sind. Und die Zugsdurchfahrten sind immer wieder ein Highlight. Der Dokumentar-Film wird irgendwann im nächsten Jahr am späteren Abend im ZDF ausgestrahlt – voraussichtlicher Titel: „Fernweh Bangladesch“.

Fernweh… ich hatte eine wirklich sehr schöne, äusserst spannende und lehrreiche Zeit hier mit vielen positiven, aber auch weniger schönen Eindrücken. Trotzdem freue ich mich wieder sehr auf trinkbares Hahnenwasser, etwas weniger Hitze, ein gutes Glas Wein, Brot und Käse, Berge, Schlaglöcher freie Strassen, weniger Lärm und bessere Luft…
Wahrscheinlich was dies nicht der letzte Einsatz mit den German-Doctors!

Khoda hafez – goodbye – Bangladesch.

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